Welcher Hundebesitzer hat es noch nicht versucht?
Der Hund scheut sich vor dem Durchschreiten einer Unterführung, fühlt sich unsicher eine Treppe hinaufzugehen oder er hat Angst vor der Mülltonne des Nachbarn.
Was ist das Erste, zu was man meistens greift? „Komm Fiffi, ich locke Dich mit einem ganz tollen Leckerli zum Objekt der Angst, da bekommst Du das Leckerli und siehst dann, dass es ganz harmlos ist.“
Das klingt ja erst einmal nicht schlecht, kann aber richtig nach hinten losgehen.
Bei leichten Unsicherheiten funktioniert das öfters, wie man bei vielen Trainingseinheiten mit zum Beispiel Welpen sieht. Leider ist es aber sehr oft kontraproduktiv, verstärkt die Angst und verschlechtert die Vertrauensbeziehung zum Besitzer. Aber warum?
Jetzt mal ganz von vorne.
Was ist Angst und für was ist die Angst eigentlich gut?
Angst ist eine Emotion und rettet in der freien Wildbahn viele Leben. Ein Tier zum Beispiel, das Angst empfindet, nimmt eine Situation (ernsthafter Konkurrenzkampf mit einem Rudelmitglied), das Zusammentreffen mit seinem Beutejäger (Antilope trifft Löwe) oder eine Naturgewalt (Gewitter,
Erdbeben, tiefe Schluchten) als bedrohlich wahr. Was passiert? Angst macht sich breit im Gehirn des Tieres. Diese Angst versetzt das Tier in Alarmbereitschaft und veranlasst es meistens zu flüchten,
sobald das Gehirn die Gefahr als bedrohlich genug eingestuft hat. Das Tier hat sich selbst gerettet, weil die Angst es zum richtigen Verhalten veranlasst hat.
Also hat die Angst in der Natur absolut ihren Sinn. Beim allseits behüteten Haushund ist das zumeist überflüssig, aber je nachdem, welche Gene der Hund in sich trägt, wie solide und ruhig die
Mutter war, wie geborgen sie die Welpen austragen durfte und wie gut der Hund geprägt und sozialisiert wurde, desto ängstlicher oder weniger ängstlich ist ein Hund. Also müssen wir dem Haushund beibringen, wenn seine Angst unbegründet ist. Aber wie?
Locken ist genauso falsch, wie den Hund mit einem Angstreiz zu überfluten (ich binde einen Hund, der Autos fürchtet an die Landstraße, damit er merkt, dass ihm die Autos nichts tun.
Aber warum nicht locken?
Locken löst im Hundegehirn einen Zwiespalt aus. Die Angst sagt dem Hund: „geh da nicht hin! Das ist gefährlich!“ – „Das Leckerli, das in den Händen des Besitzers wartet, das will ich aber soooo gerne haben.“
Der Hund gerät ein einen Zwiespalt. Die typische Körperhaltung zu so einem Hund ist eine weit nach vorne gestreckte Nase mit vier Beinen, die fest in den Boden gestemmt sind, die Körperspannung ist extrem hoch, der Schwerpunkt relativ weit hinten, um bei jedem bedrohlichen Reiz doch noch die Flucht zu ergreifen.
Zwiespalt verstärkt Emotionen, wie Angst und Aggression.
Das Resultat ist, dass ich dem Hund zwar durch das Leckerli versuche, die Situation zu verharmlosen, da ihm ja augenscheinlich nichts passiert. Aber in Wirklichkeit passiert im leider doch etwas. Der Hund spürt die Angst bereits und diese verstärkt sich noch durch den Zwiespalt in
seinem Kopf.
Und wer lockt ihn rein? Der Besitzer, dem der Hund doch eigentlich blind vertrauen können sollte.
Wie gesagt, kann das bei leichtem Unbehagen trotzdem in positive Erwartung umschlagen. Nicht jedoch bei ausgewachsener Angst oder großem Unbehagen.
Aber was kann ich tun?
Das Geheimnis lautet Arbeitsmodus!
Ein Hund, der im Arbeitsmodus ist, kann deutlich weniger Angst oder Aggression empfinden, wie in einem vermeintlichen Ruhezustand, da er fokussiert und konzentriert in der Nähe eines Auslösersarbeitet und nicht zu ihm hingelockt wird.
Genau das, was der Zwiespalt verschlimmert, das schwächt der Arbeitsmodus ab.
Wie bringe ich den Hund in einen Arbeitsmodus?
Als erstes muss man den Abstand rausfinden, bei dem der Hund den Angstauslöser zwar registriert und leichtes Unbehagen zeigt, aber noch offen ist, einfache Kommandos mit Leckerlis auszuführen. An dieser Grenze hält man sich mit dem Hund auf. Man verlangt zunächst leichte Gehorsamsübungen (Sitz, Platz, Schau, such Leckerlis auf dem Boden vor Dir), die positiv verstärkt werden (Leckerlis und freudiges Lob). Nach und nach steigert man die Schwierigkeit (Targettraining, Sitz Pfote, Platz und Bleib). Der Hund nimmt selbstverständlich den Auslöser wahr, aber er arbeitet konzentriert in der Nähe des Auslösers und kann ihn so zunehmend als harmlos einstufen. Entspannt sich der Hund und arbeitet er konzentriert, verlässt man die Situation, macht eine kleine Pause und rutscht dann vielleicht schon ein Stück näher an den Auslöser ran. So arbeite ich mich an den Auslöser heran, bis der Hund in unmittelbarer Nachbarschaft arbeiten kann, ohne Unbehagen zu empfinden.
Das ist der Schlüssel zum Erfolg.
Natürlich gibt es noch andere Wege und passt auch nicht zu jedem Hund, aber Locken ist niemals die Lösung. Habt ihr Fragen oder sogar einen Hund, der Hilfe braucht, dann meldet Euch auf der Homepage per Kontaktformular unter www.pfotenfroh.vet , per email info@pfotenfroh.vet oder ruft
an unter 0176/55156234.
Eure Karen Hainmüller von der Tierarztpraxis Pfotenfroh